26.06.2013 14:44


Die vergiftete Weltmarke. Teil I: Die FIFA als Katalysator für die Proteste in Brasilien

Die interessierte Öffentlichkeit reibt sich derzeit verwundert die Augen: Ausgerechnet im fußballverrückten Brasilien protestieren die Menschen auf den Straßen, während in ihrem Heimatland gerade der Confed-Cup ausgetragen wird. Fast noch unglaublicher: bei der Eröffnung des Confed-Cup werden die anwesenden Politiker und Fußballfunktionäre von den Fußballfans vor den Augen der Welt mit einem gellenden Pfeifkonzert bedacht. Dass ihre Elite korrupt und kleptomansich ist, dürfte den Brasilianern ja nicht neu gewesen sein. Deshalb stellt sich die Frage, warum sich der Protest ausgerechnet jetzt und ausgerechnet an sinnlosen Großprojekten für die Fußball-WM 2014 entzündet hat. Die Antwort dürfte der FIFA (und auch dem IOC) nicht gefallen...

Wenn die Menschen im fußballverrücktesten Land der Erde plötzlich gegen den Fußball demonstrieren, ist klar: Nichts ist mehr wie früher.  (Jens Weinreich auf SPIEGEL online)

Der erste Teil der Antwort auf diese Frage, warum sich er Protest ausgerechnet jetzt und ausgerechnet an den sinnlosen Großprojekten für die Fußball-WM entzündet hat, ist naheliegend und pragmatischer Natur: Die ganze Welt schaut derzeit auf Brasilien. In einer globalisierten und hochvernetzten Medienwelt ließ sich eine brasilianische Regierung mit protestierenden Menschenmassen kaum je so einfach und gleichzeitig so massiv unter Druck setzen wie derzeit im Rahmen des Confederations Cup. Denn die brasilianische Regierung wird diese Proteste nicht einfach aussitzen können, da Brasilien nächstes Jahr Gastgeber der Fussball-WM ist. Die mediale Wirkung von protestierenden Menschenmassen wird dann um ein vielfaches größer sein, dessen ist sich die brasilianische Protestbewegung durchaus bewusst, die daher genau verfolgen wird, welche Reformanstrengungen ihre Regierung bis dahin unternehmen wird. Aber damit nicht genug. Die brasilianische Elite hat sich in ihrer maßlosen Gier nämlich neben der Fußball-WM gleich noch eine zweite Daumenschraube selbst angelegt, als sie mit den Olympischen Spielen 2016 auch noch das zweite globale Sportereignis ins eigene Land geholt hat. Welch herlich-böse Ironie!

 

Der zweite Teil der Antwort auf die Frage, warum sich er Protest ausgerechnet jetzt und ausgerechnet an den sinnlosen Großprojekten für die Fußball-WM entzündet hat, ist etwas komplizierter. Denn: Um die eigene Regierung mit Protesten massiv unter Druck setzen zu können reicht es nämlich nicht, dass in aller Welt über die Proteste berichtet wird. Vielmehr müssen sich aufgrund der Medienberichte erst noch ausreichend viele Menschen weltweit mit den Anliegen der Brasilianer identifizieren und sich mit den Protestierenden solidarisieren – nur so wird der Confederations Cup zu einem Verstärker, der bewirkt, dass die brasilianische Regierung auch von außen, von Seiten der Weltöffentlichkeit, unter Druck gerät. Wären nämlich „nur“ die routinierten Protest-Profis aus dem globalisierungskritischen Lager auf den Zug aufgesprungen, dann hätte dies der brasilianischen Präsidentin ungefähr genauso viele schlaflose Nächte bereitet, wie der deutschen Regierung die Proteste der Blockupy-Bewegung kürzlich in Frankfurt – nämlich keine!

Ich behaupte nun folgendes: Wären in Brasilien nur ganz allgemein Korruption und Misswirtschaft angeprangert worden, hätte dies im Rest der Welt kein Schwein interessiert. Schließlich gibt es auch andernorts Korruption und Misswirtschaft – vermutlich sogar vielerorts in schlimmerem Ausmaß. Der Kniff bestand vielmehr darin, die beklagten Missstände im eigenen Land mit einem Feindbild in Zusammenhang zu bringen, das die fußballinteressierte Weltöffentlichkeit in ihrer Abneigung eint: Fußballfunktionäre im allgemeinen und die FIFA im Besonderen.

Hätte man die Korruption und Misswirtschaft im Zusammenhang mit dem Bau von Flughäfen, von Staudämmen, dem Bau neuer Stadtviertel, oder auch von all dem zusammen, angebrangert – wen hätte das interessiert? In Deutschland etwa wären die Menschen gähnend vor ihren Fernseher gesessen und hätten lapidar festgestellt, dass Brasilien wie Berlin ist, nur eben größer"... in Südeuropa hätten die Menschen nur gelangweilt abgewunken. Aber es gibt eine Sache, bei der die Fußballfans überall in Europa inzwischen rot sehen: Das sind die Fußballfunktionäre und ihre internationalen Verbände, insbesondere die FIFA.
Es kam also zu einem seltenen Gleichklang der Interessen ganz unterschiedlicher Akteure weltweit, die den Resonanzkörper globaler Medien heftig zum schwingen brachten. Dies kommt auch in der Heroisierung der brasilianischen Protestbewegung in recht seriös einzuschätzenden Medien wie Die ZEIT zum Ausdruck: Unter der Überschrift „Danke Brasilien! [...] Ein Volk erhebt sich gegen die Fifa“ schreibt dort Christian Spiller

Die Menschen in Rio, São Paulo und Belo Horizonte tun damit der ganzen Welt einen Gefallen. Ihre Proteste zeugen nicht nur von der demokratischen Reife eines Landes, das noch vor 30 Jahren von Generälen regiert wurde. Sie setzen den Sportgiganten auch ein Stoppschild: Bis hierhin, und nicht weiter. Endlich erhebt sich eine Demokratie gegen die zutiefst anti-demokratische Fifa.“

 

Kurz: Ohne die FIFA als gemeinsames Feindbild ganz unterschiedlicher Gruppen und Akteure weltweit hätten die Proteste in Brasilien vermutlich nicht dieses Ausmaß erreicht – ganz sicher aber hätten diese Proteste kein so gewaltiges Medieninteresse weltweit auslösen können!

Wie aber hat es die FIFA geschafft, zum Feindbild so vieler unterschiedlicher Gruppen und Akteure weltweit zu avancieren? Dazu demnächst im zweiten Teil...

Hier gehts zum Teil II:

Die vergiftete Weltmarke. Teil II: Weisse Elefanten und eine WM in der Wüste



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2 Kommentare

04. Juli 2013 von Balljunge

"Brasilien ist wie Berlin, nur eben größer". Na ja, irgendwie stimmts... xD


29. Juni 2013 von lurker

Schön, dass du hier weiterschreibst! :)

Heute ist auf SPON zu lesen, dass Präsidentin Rousseff dem Finale des Confed-Cup fernbleiben wird. Bei der aktuellen Stimmung im Land ist es tatsächlich klug, sich im TV nicht Seite an Seite mit diesem korrupten FIFA-Pack zu zeigen.


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