09.10.2009 03:54


Zwischen Herz und Verstand

Was die wenigsten wissen: Als Fußballfan hat man es auch nicht immer leicht. Vor allem dann nicht, wenn sich Herz und Verstand uneins sind. Damit meine ich jetzt nicht den natürlichen und unüberbrückbaren Gegensatz von „Fußball“ und „Vernunft“, sondern den unglücklichen Umstand, dass manchmal das Herz für einen Verein schlägt, während der Verstand einem anderen Verein anhängt...

Für welchen Verein das Herz eines Fußballfans schlägt, dafür kann man ihn im Normalfall genauso wenig verantwortlich machen wie für seine Eltern. Das passiert einfach. Bei mir waren es Hansi Müller, die Förster-Brüder sowie Karl Algöwer die mein Herz im Sturm für den VfB eroberten. Die Nebenwirkungen sind jedoch enorm: auf Herzrasen aufgrund völlig überraschender Meisterschaften und spektakulärer Highlights folgen mit schöner Regelmäßigkeit üble Herzschmerzen aufgrund eines unerklärlichen Leistungsabfalls. Wer die bisherige Saison verfolgt hat, der weiß was ich meine: ein pöbelnder Torhüter, der in den Flegeljahren stecken geblieben ist, und 10 kickende Pastorentöchter...

Die Sache mit dem Verstand ist schon etwas schwieriger gelagert: Das fängt schon mal damit an, dass nicht jeder Fußballfan einen besitzt. Ich denke, ihr wisst, was ich meine... trotzdem ein aktuelles Beispiel: Der VfB führt überlegen in Frankfurt und liefert eines seiner wenigen guten Spiele in dieser Saison ab – und was machen die VfB-Fans? Sie zünden Feuerwerkskörper und führen beinahe einen Spielabbruch herbei. Das war auf eine geradezu spektakuläre Weise erbärmlich und schwachsinnig. Bis zum heutigen Tag halte ich es nicht für entgültig bewiesen, dass die und ich derselben Spezies angehören...
Daneben gibt es aber durchaus auch Fußballfans, die sich nicht nur durch den aufrechten Gang von Primaten unterscheiden. Leider führen diese bisweilen ein leicht schizophrenes Dasein, da der Verstand nicht immer in Einklang mit dem Herzen ist. Vernünftige Erwägungen führen bisweilen dazu, dass der Verstand mit einem anderen Verein sympathisiert als das Fußballherz. Bei mir sind es zwei Dinge, für die ich eine Schwäche habe: Das eine ist eine attraktive und offensive Spielweise; das andere ist eine intelligente Vereinsführung. Was das attraktive und offensive Fußballspiel anbelangt, so gab es diese beim VfB leider viel zu selten zu genießen. So währte das magische Dreieck ebenso nur einen Sommer wie die Ära der jungen Wilden. Was eine intelligente Vereinsführung anbelangt, so war der VfB lange Jahre ein einziger Alptraum. Ich sage nur: MV. Der VfB hat es unter seiner Führung geschafft, in einer der reichsten Regionen der Welt absolut mittelmäßig zu wirtschaften und die Standortvorteile weitgehend ungenutzt zu lassen. Zumindest in dieser Hinsicht konnte man bei den Münchner Bayern sehen, was man aus Standortvorteilen machen kann, wenn man nicht komplett inkompetent und bescheuert ist. Nun ja, MV und seine Speichellecker waren leider komplett inkompetent und bescheuert... Langer Rede kurzer Sinn: Mein Herz hängt am VfB – mein Verstand nur ...ähm... halbherzig.
Aber mit wachsender Faszination verfolgte ich die ganzen Jahre über das Geschehen eines Vereins, der in vielerlei Hinsicht ganz anders war als die anderen Bundesligavereine: Kein anderer Verein in Westdeutschland hatte ähnlich schlechte Standortbedingungen; kein anderer Verein hat aus seinen bescheidenen Möglichkeiten dermaßen viel gemacht wie... ja, genau... Werder Bremen! Here we go:

  • Die Vereinsführung kann ich eigentlich nicht anders nennen als Weltklasse. So ziemlich jeder andere Verein hätte in der letzten Saison den Trainer entlassen – die Bremer hingegen sind ganz cool geblieben und haben mit Schaaf noch einen fantastischen Entspurt hingelegt, der mit zwei(!) Pokalfinals endete.
  • Das Management und das Scouting ist geradezu sensationell. Immer wieder kann man nur darüber staunen, wie Rohdiamanten gefunden und dann zu herausragenden Fußballern aufgebaut werden. Fast nach jeder Saison verlassen absolute Leistungsträger den Verein. Ailton, Pizarro, Frings, Micoud, Ismael und nach der letzten Saison nun Diego. Und regelmäßig nach jeder Saison denkt man dann: das war's wohl mit der Bremer Herrlichkeit. Aber immer wieder schafften sie es, den Verlust mehr als auszugleichen. Und das für verhältnismäßig wenig Geld! Meiner Meinung nach ist das, was das Bremer Management in den letzten 20 Jahren geschafft hat in der Bundesliga unerreicht. Und damit meine ich nicht nur die 4 Meisterschaften und die 10 gewonnenen Pokale in den letzten 20 Jahren, sondern auch eine Spielkultur, die immer attraktiver wurde. Ich möchte behaupten, dass es derzeit keinen Verein in der Bundesliga gibt, der über die letzten 10 Jahre gesehen so attraktiven – ja teilweise geradezu spektakulären – Fußball gespielt hat.

Damit haben die Bremer extrem viele Sympathien in der deutschen Fußballgemeinde gewonnen (laut Umfragen waren sie nach der vorletzten Saison der beliebteste Bundesligaverein), und dadurch ihren Gegenpol – die Münchner Bayern – zu folgenschweren Entscheidungen gezwungen: Denn in München wollte man nicht nur alle Titel, sondern dazu auch noch möglichst alle Sympathien für sich haben. Die Konsequenz: das Fußballkonzept, das den ebenso erfolgreichen wie unattraktiven Stil der Münchner über Jahrzehnte geprägt hatte, musste dem Ziel weichen, nicht nur den erfolgreichsten sondern auch den spektakulärsten Fußball in der Bundesliga zu spielen. Was folgte, war ein Fiasko (Frage: wann standen die Bayern zuletzt 500 Tage in Folge nicht auf dem ersten Tabellenplatz?!).



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6 Kommentare

15. November 2009 von utzebertz

Lass die anderen reden
von Bayern oder Bremen
wir sind immer bei dir 96, HSV!

RIP, Robert


03. November 2009 von utzebertz

Lieber Stephan, Deine Ausführungen möchte ich jetzt nicht mit meinen eigenen Beobachtungen zu Fußball-Herz und -Verstand zukleistern. Nur soviel: als Bremen-Fan sprichst Du mir in Vielem 'aus der Seele'!
Beste Grüße,
Utz


26. Oktober 2009 von semtext

Stephan: D'accord.

Aber ich muss dir leise widersprechen: Auch auf Schalke gibt es sicherlich eine Handvoll 1997-Europapokal-Gewinner-Erfolgsfans.

Ich gehöre da natürlich nicht dazu.


10. Oktober 2009 von Stephan

@ Joni: Klar, dass du dich immer über die "Erfolgsfans" mokierst, denn das ist ein Phänomen, dass man auf Schalke zwangsläufig nicht kennt... genauer gesagt: eigentlich kennt man da nur das Gegenteil des Erfolgsfans: den Masochisten :]
Aber jetzt mal Spaß beiseite. Was Bremen anbelangt, so gewannen die sicherlich schon seit der Rehagel-Ära bundesweit mehr und mehr Fans - und man macht es sich zu einfach, wenn man das nur mit den Titeln erklären möchte, denn nach dieser Logik wären all diese Leute ordinäre Bayern-Fans geworden (DAS sind fast durch die Bank Erfolgsfans). Dahinter steckt - zumindest bei vielen - noch etwas ganz anderes, auch sehr menschliches: Die Sehnsucht nach der Gewissheit, dass die Kleinen trotz bescheidener Verhältnisse mit Fleiß und Intelligenz auch die großen Geldsäcke schlagen können - und nicht nur schlagen können, sondern dabei auch noch gut aussehen! Und wenn sowas in der großen Parabel auf das wahre Leben - dem Fußball - möglich ist, dann darf man das auch fürs wahre Leben selbst hoffen. Daher gelingt es einem Verein wie Bremen im Erfolgsfall auch, dass sich gerade auch in anderen Regionen Deutschlands wesentlich mehr Menschen mit dem Verein identifizieren, als dies der Fall wäre wenn der HSV, Leverkusen oder der VfB Meister würden...


10. Oktober 2009 von semtext

Weißt du, Stephan, im Grunde hast du ja Recht. Nur ist es für mich gar nicht schwer, Bremen unsympatisch zu finden, und zwar aufgrund der Fans, die sich vorher nie für Fußball interessierten, und dann 2004 mal mit dem Semesterticket von Oldenburg oder Wilhelmshaven zur Meisterfeier an den Roland gezuckelt sind, und seitdem Hardcore-Enthusiasten der grün-weiß-orangen Spielkultur sind. Und auch schon immer waren. Genau wie die ganzen Erfolgsfans hier in der Gegend, die seit 2007 mit dem roten Bustring herumlaufen. Keine Ahnung von Fußball, aber deutscher Meister. Hauptsache Erfolgsfan. Da muss im Leben ja 'ne ganze Menge vorher schief gegangen sein, dass es nur so einen kleinen Stoß braucht, um sich dafür zu begeistern.

Wenigstens kann ich mich, als aktiver Schalker seit 1992 absolut dagegen wehren, Erfolgsfan geschimpft zu werden. Zum Zeitpunkt des Beginns meiner Fankarriere war Schalke auf dem 18. Platz. (Und ja, das macht mich zu einem besseren Menschen.)


09. Oktober 2009 von rYu

Bremen ist uncool!

Egal ob mit Herz oder Verstand,
Hannover spielt eh alle an die Wand.
(Ich steh zu meiner Gurkentruppe)


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