30.06.2012 20:24


Außer Rand und Schland! Gründe für das Scheitern der deutschen Mannschaft – Teil II: Löws Personalentscheidungen

Die Voraussetzungen für die vielleicht talentierteste deutsche Nationalmannschaft aller Zeiten waren perfekt: Die italienische Mannschaft war im Schitt nicht nur 3 Jahre älter als die deutsche Mannschaft, sondern hatte außerdem 2 Tage weniger Pause zur Regeneration und dazu auch noch eine Verlängerung inklusive Elfmeterschießen in den Knochen. Dennoch verlor die deutsche Nationalmannschaft verdient. Bei der Suche nach den Ursachen für das ebenso überraschende wie deutliche Scheitern beschäftigten wir uns im ersten Teil mit den Fehlern bei der taktischen Ausrichtung der deutschen Mannschaft; im zweiten Teil setzen wir uns nun hier mit Löws Fehlern bei Personalentscheidungen auseinander...

Prinzip Hoffnung“ statt Leistungsprinzip

Löw war schon immer bekannt dafür, dass die aktuelle Form eines Spielers bei seinen Personalentscheidungen nicht das alleinige Kriterium ist. Häufig hält er auch dann an Spielern fest, wenn diese in ihren Vereinen ein kleines Formtief haben. Bekannte Beispiele dafür sind Lukas Podolski, aber auch Miroslav Klose, der vor der WM 2010 bei Bayern München hauptsächlich auf der Ersatzbank saß. 

Allerdings ist es eine Sache, ob Löw trotz Formtief im Verein an einem Spieler festhält, weil er davon ausgeht, dass der Spieler in der Nationalmannschaft seine Leistung abrufen wird. Eine ganz andere Sache ist es jedoch, während eines Turniers an Spielern in der Startelf festzuhalten, obwohl diese Spieler das Vertrauen nur begrenzt mit guten Leistungen zurückzahlen. Katastrophal wird dies dann, wenn sich die Mannschaft plötzlich in einer Situation wiederfindet, in der sie mäßige Leistungen gleich mehrerer Spieler in ihren Reihen gegen hochklassige Gegner kompensieren muss. Genau diese Situation trat gegen Italien ein und trug wesentlich zur ebenso überraschenden wie letztlich verdienten Niederlage der deutschen Mannschaft bei:

 

Lukas Podolski

Offensiv hat Podolski währen der WM kein einziges gutes Spiel gemacht – darüber kann auch sein Tor gegen Dänemark nicht hinwegtäuschen. Seien Aufstellung rechtfertigte Löw dennoch immer wieder damit, dass Podolski „gut nach hinten mitarbeite“. Womöglich wäre Schürle defensiv die etwas riskantere Variante gewesen, aber von Marco Reuss kann man dies definitiv nicht behaupten, da Reuss von seinem bisherigen Trainer Lucien Favre in dieser Hinsicht bestens geschult wurde! Dennoch beharrte Löw mit seiner Entscheidung pro Podolski letztlich darauf, dass der linke Flügel offensiv nicht stattfand...

 

Mario Gomez

Mehmet Scholl lag mit seiner Kritik an Gomez nach dem Portugal-Spiel komplett richtig! Dass diese Kritik mit den zwei Toren gegen die Niederlande als widerlegt angesehen wurde, zeugt eigentlich nur von der Ahnungslosigkeit des Pro-Gomez Lagers. Denn zum einen weisen ja gerade seine Kritiker u.a. darauf hin, dass Gomez für sein Spiel Platz benötigt – offensiv ausgerichtete und defensiv schwache Mannschaften wie die Niederlande ermöglichen es Gomez daher zu glänzen, ABER in einem Halbfinale oder gar Finale trifft man nicht auf solche Gegner!

Völlig absurd wurde die Aufstellung von Gomez gegen Italien durch die taktischen Änderungen, die Löw vorgenommen hatte: Selbst ohne diese taktischen Änderungen hätte Gomez gegen die gut organisierte Abwehr der Italiener genauso hilf- und harmlos agiert wie er dies schon gegen Chelsea getan hat; aber da Löw durch seine taktsichen Änderungen dafür gesorgt hat, dass Gomez von außen keine vernünftigen Zuspiele bekommen würde, war der Totalausfall im Sturm praktisch schon vorprogrammiert.

 

Özil

Von den hier aufgeführten Personalentscheidungen ist die Entscheidung pro Özil sicherlich diejenige, die in der Öffentlichkeit am wenigsten Kritik hervorgerufen hat. Zu Unrecht! Da die Medien ihn offensichtlich mit geradezu grenzenloser Nachsicht behandeln, soll er hier nicht unerwähnt bleiben:

In Erinnerung bleiben wird von dieser EM unter anderem folgender Satz von Löw: „Die Explosion von Özil kommt noch!“ Zyniker werden nun einwenden, dass Löw vermutlich die nächste EM in Frankreich gemeint hat. Gemessen an Löws Einschätzung, dass Özil der derzeit weltbeste Spielmacher sei, war Özil eine komplette Enttäuschung. In diesem Turnier trennten ihn Lichtjahre von einem Pirlo.

Doch nun zu den Gründen, warum ich es für eine Fehlentscheidung halte, dass Löw so beharrlich am formschwachen Özil festgehalten hat: Da Özil bei eigenem Ballverlust nur selten selbst hinterhersetzt, und auch generell kaum Defenivarbeit leistet, benötigt er zur Absicherung sehr laufstarke Spieler auf der 6er-Position. Bei einem gesunden und völlig fitten Schweinsteiger wäre es vielleicht kein Problem gewesen, Özils Defizite zu kompensieren – nicht jedoch bei den offensichtlichen körperlichen Problemen, mit denen Schweinsteiger sich herumschlug! Trotz seiner Probleme wurde Schweinsteiger durch Özils fehlender Defenisvarbeit dazu gezwungen, regelmäßig das größte Laufpensum aller deutschen Spieler zu absolvieren. Wenn Löw der Meinung war, dass er auch auf einen formschwachen Schweinsteiger nicht verzichten kann, hätte er konsequenter Weise auf der 10er-Position Toni Kroos Anstelle von Özil aufstellen müssen, was Schweinsteiger deutlich entlastet hätte. Andernfalls hätte Löw anstelle des formschwachen Schweinsteiger einen extrem laufstarken 6er wie zum Beispiel Bender bringen müssen, der Özils Defizite locker hätte kompensieren müssen (wenngleich man sagen muss, dass auch Bender nicht Özils folgenschwerer Fehler im Spiel gegen Italien hätte verhindern können, der letztlich die deutsche Niederlage einleitete – aber dazu ein andermal mehr...).

 

Schweinsteiger

Um im modernen Fußball ein großes Turnier gewinnen zu können, ist die 6er-Position von herausragender Bedeutung. In dem Punkt würde mir Löw sicherlich auch zustimmen, denn deshalb wollte er auf dieser Position nicht auf die Erfahrung Schweinsteigers verzichten, obwohl dieser nicht im Vollbesitz seiner Kräfte war. Das ist zwar durchaus nachvollziebar, jedoch muss man Löw ganz klar vorwerfen, dass er es versäumt hatte, auf dieser wichtigen Position Alternativen zum angeschlagenen Schweinsteiger aufzubauen. Dieses Versäumnis ist umso fahrlässiger als die deutsche Nationalmannschaft auf keiner Position über so viel Qualität UND Quantität verfügt, wie auf der 6er-Position! Neben Khedira und Schweinsteiger spielten auch Kroos, Bender und Gündogan auf dieser Position eine herausrangende Saison. Speziell Gündogan war wohl der beste 6er der Bundesliga-Rückrunde und Kroos konnte in vielen Champions League-Spielen zeigen, über welche Qualität er auf der 6er-Position auch gegen hochklassige Gegner verfügt.

Spätestens beim Stand von 3:1 gegen Griechenland hätte Löw die Gelegenheit nutzen müssen, um Schweinsteiger zu schonen und einem anderen Spieler auf dieser Position Spielpraxis zu geben! Dies nicht getan zu haben ist aus meiner Sicht ebenso unverständlich wie folgenschwer gewesen.

 

Das Schweinsteiger in einem Interview durchblicken ließ, dass er kein Problem damit hätte, wenn er aufgrund seiner körperlichen Defizite gegen Italien nicht spielen dürfe, spricht eigentlich schon Bände – die Süddeutsche Zeitung sprach gar von einem Hilferuf des angeschlagenen Spielers. Gegen einen so gefährlichen Gegner wie Italien grenzt es schon an Starrsinn, all diese Hinweise und Eindrücke der zurückliegenden Spiele zu ignorieren und einem Spieler eine Verantwortung aufzubürden, der er ganz offensichtlich im Moment nicht gewachsen zu sein scheint.

 

Nicht zuletzt stellt sich natürlich auch die Frage, was es über die Mannschaft aussagt, wenn ihr Trainer der Meinung ist, dass sie im defensiven Zentrum eher auf einen hundertprozentig fitten Mittelfeldspieler verzichten kann, als auf ihren „mentalen Leader“. Es ist sehr entlarvend und wenig schmeichelhaft hinsichtlich der mentalen Stärke der anderen Nationalspieler! Womit wir bei einem weiteren wichtigen Grund fürdas Scheitern der deutschen Mannschaft angekommen wären. Doch dazu später mehr...

 

Weitere Beiträge zum Thema "Gründe für das Scheitern der deutschen Mannschaft":

Teil I: die Taktik

Teil III: Das "Sieger-Gen"



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2 Kommentare

02. Juli 2012 von lurker

Die Sache mit Schweinsteiger war wirklich kurios! Bereits nach dem Spiel gegen Dänemark hat er einen extrem ausgebrannten Eindruck gemacht; dazu dann noch das Interview nach dem Griechenland-Spiel! Das war schon unglaublich ignorant von Löw. Ich stimme dem Balljungen zu, dass Löw da den Schweinsteiger unnötiger Weise verheizt hat, ohne dass das irgendwie Sinn gemacht hätte.
Zu Podolski muss man eigentlich nicht mehr viel sagen. Aber bei Gomez befürchte ich, dass er auch zukünftig als Nationalstürmer durch die Abwehrreichen der Gegner stolpern wird, weil es im Sturm einfach zu wenig Alternativen gibt.


02. Juli 2012 von Balljunge

Podolski: 100% Zustimmung! Ich hoffe inständig, dass das sein letztes Länderspiel war! Inzwischen gibt es genug Alternativen, die weitaus besser sind.

Mario Gomez: Schön, dass das mal jemand sagt! Die Nationalmannschaft braucht keinen Stürmer, der gegen Mannschaften wie Basel, Freiburg oder auch Holland viele Tore schießt, aber gegen gute Teams wie Chelsea oder Italien regelmäßig versagt, weil er fußballerisch einfach mittelmäßig ist.

Mesut Özil: Ich hätte mir auch mehr von ihm erhofft, aber was für einen folgenschweren Fehler meinst du denn?

Schweinsteiger: Eigentlich tut er mir leid. Löw hat ihn gnadenlos verheizt und seinen Ruf versaut, obwohl Schweinsteiger regelrecht darum gebettelt hat, nicht mehr spielen zu müssen.

Aber sind wir mal ehrlich: gegen die spanische Mannschaft, die heute Abend im EM-Finale Italien zerlegt hat, hätte auch die deutsche Mannschaft keine Chance gehabt.


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