07.08.2009 18:00


Die Sache mit dem Ding

Tachchen Ulla,
Peter hier. Ich hab gerade mal wieder meinen andersgelben Bleistift gespitzt und da fiel mir ein, dass du mir ja noch einen Gefallen schuldest und schreibe dir somit diesen Brief.
So.
Ich hab dir ja von diesem Typen aus dem Ruhrgebiet erzählt, Wolfgang Welt. Den hat der Thomas immer nur den „Pottwichser“ genannt. Der ist aber gar nicht so unökonomisch, obwohl der früher bei ‚konkret’ veröffentlicht hat. Haha! Die Romane von dem sind voll gut, weil kurz, und ich wollte mal anfragen, ob du den noch reinpressen kannst zwecks Neuauflage. Wäre doch kein Riesending, oder? Ihr kommt ja eh im September zu uns nach Serbien, da können wir das mal in Ruhe besprechen.
Bis bald,
P.H.

Liebe Leser, manche Dinge sind dann doch schwer, wie z. B. Staatsexamen. Das ist jetzt aber auch geschrieben und nun darf ich mich wieder dem widmen, was ich so gerne tue. Hier mal was „Kolumnenmäßiges“ rausfeuern und den redaktionellen Teil dieses Portals mit einer Mischung aus subtiler Arroganz, eloquenter Hochkultur und zerfledderten Pop-Zitaten zu unterfüttern.
Ich hab heute mal wieder die „privaten Lesefreuden“, d.h. Bücher, die ich NICHT aus Zwang lesen muss, rausgeholt. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich die vorzüglichen Romane von Wolfgang Welt, „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ und den neuen, „Doris hilft“, beide bis etwa zur Hälfte gelesen habe. Das ist journalistisch natürlich nicht ganz richtig, denn Buddy Holly ist ein Band aus drei Romanen, von den ich den ersten ganz und den zweiten zur Hälfte geschafft hab. Leute, die wenig lesen und das von Hape und das andere, dieses ‚pinkene’ von dieser Roche, zu ihren letzten Erwerbungen zählen, würden jetzt sagen, das eine hab ich gelesen, sogar DURCHgelesen! Warum aber schreibe ich nicht was über Wolfgang Welt, wenn ich die Dinger fertig hab? Weil das erstens noch länger bis zum nächsten Beitrag zur ComPresse gedauert hätte und zweitens, weil es irgendwie zu Wolfgang Welt passt, dass das eine nur etwa so zur Hälfte erledigt wurde. Bei ihm ist alles nur immer so halbgar gewesen (im Leben, nicht in der Schreibe, die ist super!), das Glas auch eher halbleer, der mittlerweile 55 Jahre alte Autor arbeitet immer noch am Schauspielhaus Bochum als Pförtner und darf in zehn Jahren dann Hartz IV beantragen, so wie es aussieht. Eigentlich schade, denn seine Erzählweise, die sich um Amateur- und Profifußball genauso wie um Popjournalismus, seine Depressionen und sexuelle Frustration dreht, ist derart aus der Hüfte und scharf und pointiert, dass einen dieser stetige Flow so gleiten lässt, wie sich Welt, der auch immer Protagonist seiner stark autobiographisch gefärbten Bücher ist, gerne für sich selbst gewünscht hätte, da er ja eher so durchs Leben stolpert. Das Nebeneinander von wirklich allem, was ihm widerfährt, ist auch die große Stärke seiner Romane und steht für einen ungeschönten, direkten Realismus, der vor drastischen Beschreibungen nicht zurückschreckt. Das klingt jetzt übel nach Presseinfo. Daher….
Kurzer Einschub: Heute hab ich mir auch die neue Titanic gekauft und musste feststellen, dass deren Pimmelquote in Text und Bild auch für ihre Verhältnisse dieses Mal wieder echt hoch ist. Das war in der letzten Ausgabe nicht so, dafür war aber auf dem Titel der Steini mit so ’nem Riesenprügel drauf. Vielleicht mussten die das jetzt dann kompensieren - oder runterschrauben, je nach Sichtweise. Selbstzensur bei der Titanic, man mag es kaum glauben. Egal, meine Mitbewohnerin, die ja Fan von (gezeichneten!, das sollte ich noch dazuschreiben, hab ich ihr versprochen) Pimmeln ist, war wieder höchst erfreut.
Zurück zu Wolfgang Welt. Moment, wie bekomm ich jetzt den Übergang hin? Ok, ich zitiere einfach den ‚berühmt-berüchtigten’ ersten Satz aus „Peggy Sue“, dem ersten Roman aus der Buddy-Holly-Trilogie: „Etwa zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung machte mir Sabine am Telefon Aussichten auf einen Fick, allerdings nicht mir ihr selber, sondern mit ihrer jüngeren Schwester.“ Solche Aussichten werden bei Welt mit der Zeit immer schlechter und die finanziellen, libidinösen und karrieretechnischen Ziele natürlich nicht erfüllt. Das Leben eines Losers wird trotzdem so mitfühlend und ehrlich beschrieben wie sonst nirgendwo, auch wenn der Satz oben locker einen anderen Eindruck macht.
Die jüngere Schwester, eine Ute, wird ihm dann auch zum Verhängnis. Er kommt in die Psychiatrie. Dort setzt „Doris hilft“ an: „Kaum aus der Psychiatrie entlassen, holte ich mir auf meiner Mansarde einen runter.“ Das Leben meint es nicht gut mit Wolfgang Welt.
Was soll er machen? Er beleidigt in einer Rezension Heinz Rudolf Kunze (zu Recht!), schreibt sonst auch über Musik, die ihn nicht sonderlich zu interessieren scheint (Stichwort: Zeilengeld) und wird weiter irre. Aber mal so richtig. Trotzdem bekommt er ab und an seine Romane gebacken, die allesamt floppen. Und damit soll mal Schluss sein. Wir brauchen mehr von dieser Alltagsehrlichkeit.
An alle, die mal wieder prokrastiniert haben, was nicht prokrastiniert gehört: Es kann auch schlimmer kommen. Aber anstatt zu Welts Schicksal runterzurutschen schlage ich vor, seine Bücher zu kaufen und ihn damit hochzuholen. Dann trifft man sich eben in der Mitte. Er hätte es verdient.

Halbwegs durch: Baron v. Schuldenberg

„Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ und „Doris hilft“ sind bei Suhrkamp bereits erschienen, weil Peter Handke für Welt ein gutes Wort eingelegt hatte. Somit hat Peter Handke wenigstens einmal etwas Gutes getan.



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