14.05.2009 16:49
Kleiderhaken
Ehemalige Möchtegern-Stylos mit äußerst strenger TTP (Tight Trousers Policy) sind plötzlich ganz toll. Wir wagen den journey into sound.
Bei meiner Tätigkeit als DJ in dieser Stadt fühle ich mich öfters mit diversen Auslegungskonflikten konfrontiert. Man fordert mich ab und an dazu auf, auch mal „richtige“, nicht selten auch „andere“ Musik zu spielen. Dem kann Abhilfe geschaffen werden. Das, was uns The Horrors mit ihrem neuen Album Primary Colors vorlegen, ist mal so richtig anders und auch echt richtig richtig. Dabei sah es zunächst gar nicht nach einer interessanten Geschichte aus.
Noch vor dem ersten Album Strange House fanden sich die dünnen Jungens mit den engen Hosen schon recht schnell auf dem Cover der britischen Popgazette NME wieder, wo es vornehmlich um ihre Klamotten und Frisuren (die gefährliche Cooper Temple Clause-Falle) ging, weniger um ihre in den 60ern verwurzelte Version von Garagen-Rock, der sich doch mehr von den gängigen Klangmustern der ungefähr 97485 anderen britischen Gitarrenbands der letzten 5-6 Jahre abgrenzte, als man auf den ersten Blick (tja…) vermuten konnte.
Umso schöner, dass die Horrors 2.0 jetzt verschwommene Videos und Albumcover nicht nur zur Verwirrung, sondern zwangsweise auch zum Exponieren der ‚eigentlichen’ Sache, ihrer Musik, benutzen. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Band wirkte wie eine wandelnde Tim-Burton-Zitate-Hölle (vergleichen Sie hierzu bitte die alten Pressefotos mit den Ihnen bekannten Filmen…nee lassen Sie’s doch lieber!).
Aber irgendwas muss ja dahinter stecken, dieses Hinwenden zu (etwas) jüngeren Blaupausen in Form von Jesus&Mary Chain, My Bloody Valentine und, ja, auch Joy Division und Neu!, die die Eckpfeiler des neuen Sounds bilden. Gut, es könnte an Geoff Barrow liegen, der ist nicht irgendwer, sondern der Kopf von Portishead und müsste sich mit Kurswechseln bestens auskennen – die Comebackplatte von Portishead gehörte zu den Highlights des Jahres 2008, nicht zuletzt wegen der Neudefinierung der bandeigenen musikalischen Parameter. Das war ein journey into sound par excellence, nicht nur für die Hörer, auch für die Band.
Der Übertrag auf seine Schüler ist dem guten alten Geoff dann auch noch geglückt. Dass wir uns nicht falsch verstehen, das hier ist nichts bahnbrechend Neues. Vielmehr eine Überraschung, und für die braucht man nicht immer neue Zutaten, da kommt es auf die Erwartungshaltung an. Die war im hier vorliegenden Fall, ich gebe es zu, niedrig genug. The Horrors suchen die Veränderung im Absetzen der Maske und des Künstlichen, etwas, das ihnen früher abging. Kunst ist das immer noch, aber mit Haltung, die all zu oft mit Pose verwechselt wird. Die neue Offenheit bietet Raum für echte Emotionen, lässt Titel wie „I Only Think Of You“ und Textzeilen wie „I never meant for you to get hurt / and how I tried, oh how I tried / I could never give you just what you deserved […] / zu, und der Kitsch, der ist dann zwar nicht mehr weit, aber der beißt sich am großartigen Rumpeln, Rauschen und den stratosphärischen Gitarrenkapriolen dieser Platte fest und wird wieder dahin geschleudert, wo er hingehört. Gut so, denn dann wird man mit diesem Süchtigmacher alleine gelassen. Die oft repetitiven Beats der neu formierten Rhythmussektion sind hypnotisch-elektrisierende Konstrukte, die das Eintauchen in das Album nur zu gerne anbieten, was man auch bald freiwillig annimmt. Eine Eigenschaft, die andere fiepende und züngelnde Monster dieser Art nicht auf der Pfanne haben. The Horrors kommen mit Macht, mit Gewalt, wie eine Wand – und strecken uns trotzdem immer die Hand entgegen.
Erst kommt das Rauschen, dann kommt der Rausch.
Bei: Baron v. Schuldenberg
Primary Colors von The Horrors ist bereits erschienen.
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