02.05.2009 10:45
Überlebenskünstler
Music makes the people come together!
Liebe Leser,
Sie kennen sicherlich die Sorte Lastwagen auf der Autobahn, die diese Warnung am Heck baumeln haben: Achtung Überlänge! Genau das muss ich auch hier gleich zu Anfang verkünden. Dafür verzichte ich auf die in meinem letzten Beitrag so präsenten schlechten Wortspiele. Andererseits: In einem Land, in dem ein Roman samt gleichnamiger Verfilmung mit dem Titel „Biss zum Morgengrauen“ wochenlang die Zuschauer- und Bestsellerlisten anführen, darf man sich so was auch mal erlauben, oder?
Da ich mit einem regionalen Plattenladen schon jahrelang assoziiert und leidenschaftlich verbunden bin, ist es mir beim Beobachten der großen Konkurrenz durch die Elektronik-Fachmarktketten doch stark aufgefallen, dass sich diese Konzerne durch den Verbund der Tonträger- mit der aktuellen globalen Finanzkrise sich für nichts mehr zu schade sind, um Kunden zu locken. Da werden massenweise sichere Nummer-1-Titel am Erstverkaufstag unter dem Einkaufspreis verkauft, dass die Kunden, übereuphorisiert von dieser Großzügigkeit, noch ´ne Waschmaschine und ZWEI Senseo mitnehmen (eine davon muss eh zurückgeschickt werden).
Metallica, U2, AC/DC, Silbermond - kann man alles haben für untern `nem Zehner. Sogar Depeche Mode (Ersatzreligion Nr. 1 in Deutschland; die)!!! Also, Hand aufs Herz: Wann haben Sie das letzte Mal einen zurechnungsfähigen Depeche-Mode-Fan gesehen? Eben, die würden alles zahlen. Komisch, warum man sich nicht mehr auf die Treuesten der Treuen verlässt.
Die Industrie muss da ja auch irgendwie mitmachen. Man wird aber den Verdacht nicht los, dass hier bei den Top-Acts auf sichere Gewinne verzichtet wird und gewisse Dinge mit den falschen Mitteln bekämpft werden, um nicht in die Miesen zu kommen. Oder haben Sie schon mal versucht, YouPorn-Sprech mittels Heinz-Erhardt-Sprech auf eine gesellschaftsfähige schwarze Null zu bringen? „Skinny blonde bitch rides huge fat cock, das ist ja unglaublich, ist das ja doch!“ Klingt scheiße, ne? Hab’ ich ja gleich gesagt, dass das nicht klappt.
Zurück zur Musik: Bei dem ganzen Zirkus wirft sich wie in den letzten Jahren die große Formatfrage „Was ist ein Album wert?“ auf. Zumal die aktuelle Single „Happy Up Here“ von Röyksopp von den Kollegen von jetzt.de mit entsprechend wohlwollenden Worten rezensiert wurde, was die Plattenfirma EMI veranlasste, dieses Zitat in die Printwerbung für das komplette Album „Junior“ mit einzubinden: „Junior [eigtl. Happy Up Here] dürfte es problemlos in die IPod-Heavy-Rotationen dieser Welt schaffen.“
Auch, wenn es gängig ist, die positiven Zitate möglichst effektiv für seine Promotion zu nutzen, wird deutlich, dass die Auflösung des Formats von den Verantwortlichen freiwillig selbst betrieben wird. Das Album hört auf dem all zu oft auf zufällige Wiedergabe programmierten IPod in seiner ursprünglichen Form auf zu existieren, keine Frage. Was bleibt, sind Tracks. Was also tun in einer Welt, in der Optik, Haptik und Dramaturgie von Musikprodukten mittlerweile wie Anachronismen wirken?
Man kann es wie Mike Skinner halten und die neuen Songs von The Streets per Twitter als Teaser umsonst anbieten (to be continued). Letztlich wird es aber auch auf eine mehr oder weniger dem Album ähnliche Veröffentlichung hinauslaufen (Stichwort: Vertrag). Gut hat es, wer seine Alben wie Blockbuster mit immer neuen Trailern bewerben kann. Die Spannung für den Käufer beim fertigen Produkt ist aber nicht mehr dieselbe, wie es in den Zeiten der EINEN Vorabsingle war. Dafür ist die Werbung für die Tournee bestens angelegt.
Wie man es eine Fame-Stufe darunter und vor allem anders machen kann, das zeigen uns die Schweden von The Soundtrack Of Our Lives mit ihrem neuen Album „Communion“. Alleine die Entscheidung, ein Doppelalbum zu veröffentlichen, zeigt hier den gelebten und authentischen Traditionalismus einer den 60er und 70er Jahren entstammenden Auffassung von Rockmusik, mit dem hier zu Werke gegangen wird. Genau, darum geht’s: WERK. Auch die Instrumentierung ist seit mehreren Alben stets innerhalb der Koordinaten eines Entwurfs von hymnischem Psychedelic-Rock, angereichert mit der einen oder anderen Orgel und Sitar und mitunter spirituell angehauchten Lyrics, angesiedelt, und somit eher verlässliche Größe als Grenzgänger. Auch im Songwriting nimmt man das, was funktioniert. Wenig überraschend ist Noel Gallagher Fan. So weit, so unspektakulär (bzw. reaktionär)? Weit gefehlt. Denn das, was dieses Albumalbum mit 24 Stücken aus der ganzen Veröffentlichungsflut herausstechen lässt, ist das optische und haptische Element, das Artwork, dass alle Gewohnheiten von aktueller und vergangener Rock- und Popästhetik umwirft und die Platte in seiner künstlerischen Aussage größer und aussagekräftiger als alles andere erscheinen lässt, was für sich ähnliche Ambitionen in seiner, *hüstel*, message beansprucht. Hier sind Musik und Verpackung mehr als die Summe der einzelnen Teile.
Womit wir es hier zu tun haben, ist vielmehr das definitive (Pop-)Statement zum aktuellen, auslaufenden Jahrzehnt!
Hinter einem an IStock gemahnenden Look der Überretuschierung und einer Prospektdesgin mit dem Layout der Apothekerrundschau vermischenden Ästhetik, wirken das Frontcover und die restlichen Illustrierungen des Booklets (bei Vinyl der Innenhüllen), denkt man an die Musik, wie ein Fremdkörper.
Jedoch sind die zunächst harmlos wirkenden Bilder beim zweiten Hinsehen eine erschreckend genaue Beobachtung und zugleich Verhandlung der großen globalen Themen unserer Zeit auf wirtschafts-, sozial-, familien- und gesundheitspolitischer Ebene. Das ältere Paar (mit Botox-Verdacht!) in Bademänteln auf dem Frontcover, das einen so unverhohlen wie leer anlächelt und so künstlich wirkt wie die mintgrünen Shakes, die es zuprostend in die Kamera hält, sind in ihrem an die Wellness-Sekten aus den letzten Houellebecq-Romanen erinnernden Jugendwahn nur der Anfang. Das ist alles so glatt und zahm und weich, dass es weh tut und unheimlich wird. Es findet eine Subversion durch Überaffirmation statt, die sich gewaschen hat - und der Spiegel wird einem stets vorgehalten.
Und genau hier kommt wieder die musikalische Komponente ins Spiel. Zusammen mit Klang und Bild spricht die Band den Hörer an: „Wir haben uns mit der uns derzeit bestmöglichen Reaktion zur aktuellen Tendenz und Trends der Musikindustrie, die Welt, in der wir uns als Band bewegen (müssen), positioniert. So können wir wir selbst sein. Und wo, lieber Hörer und Betrachter, positionierst du dich in deiner Welt?“
Und somit verweist das Werk über sich selbst hinaus und kommt wo an? Bei uns.
Aber fallen Sie, liebe Leser, ja nicht auf den Titel „Communion“ rein. Die ist noch längst nicht etabliert. Denn so einfach läuft das nicht. Gleich der erste Song, „Babel On“, vom Titel her schon ein ironischer Bruch, zeigt, dass das „wir“, noch nicht den Hörer einschließt. Der muss auch was bringen.
„We’re here to finalize / The friction of your rise / The twisting of your tongue / Together with the sun / The language that we speak / Was spread out to complete / And communicate as one / So turn the towers of Babel on / C’mon!
Ja, komm doch, Zuhörer! Sprechen wir dieselbe Sprache?
Also: Platte kaufen, anhören, anschauen, sich positionieren.
Geht schon mal in Stellung:
Baron v. Schuldenberg
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