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Beschreibung
UNWIDERSTEHLICHER TOTALABSTURZ
(Quelle: Art-Magazin)
Die Popularität der Hamburger Künstlerband “HGich.T” steht beispielhaft für die wachsende Bedeutung von Videoportalen wie YouTube. Die Ohrwurmqualitäten ihrer Texte und die schrille Optik der Videoclips beflügelten das elektronische Schneeballsystem des Videoweb 2.0. Innerhalb kürzester Zeit multiplizierte sich ihr Publikum um ein Vielfaches, und eilig traten große Plattenlabels auf den Plan, das Phänomen in CDs und Klingeltöne umzusetzen. “HGich.T” lehnten ab. Porträt einer eigenwilligen Unternehmung.
In einer einsamen Hütte im Wald wohnt Sascha. Den langen Bart trägt er zum Zopf geflochten, die noch längeren blonden Haare flattern aus seiner zwergenhaften Kapuze – nahtlos fügt sich die druidenartige Erscheinung in das umgebende Märchenland. Nur die überdimensionierte schwarze Sonnenbrille deutet an, dass dieser junge Mann doch nicht ganz so weltabgewandt ist, wie es zunächst den Anschein hat.
Sascha ist 31 und gehört zum Hamburger Video- und Musikkollektiv “HGich.T” (gesprochen: ha-ge-ich-te), deren als Kunst-Performance klassifizierbaren Auftritten und Videoclips wachsende Popularität genießen. Ihr bekanntester – “Tutenchamun” – knackte bei YouTube unlängst die Millionenmarke. Sascha taucht zwar nur irgendwo im Abspann auf, aber wer und was “HGich.T” genau sind, scheint ohnehin prozessualer Natur. Die Mitgliederzahlen schwanken und liegen irgendwo zwischen zehn und 15. Man kann froh sein, in Waldbewohner Sascha überhaupt mal jemanden gefunden zu haben, der eine klar definierbare Funktion hat: Er macht Musik. Dass die ist, wie sie ist – energisch, psychedelisch und rotzig wummernd – wurzelt in einer von Industrie und Popjournalismus weitgehend verschont gebliebenen Musikkultur, aus deren Referenzreservoir sich “HGicht.T” nun munter bedienen.
Zur Orientierung: Irgendwann Mitte der neunziger Jahre schleppten ein paar Hippie-Heimkehrer ein musikalisches Virus vom indischen Aussteigerasyl Goa zurück nach Mitteleuropa. Der Techno-Trance war im Exil zu einer radikal psychedelischen Art mutiert und infizierte schließlich eine nicht unbeträchtliche Schar sinnsuchender europäischer Mittelstandskinder. In kleinen Großstadtklubs, vor allem aber auf den berüchtigten Open-Air-Festivals in der norddeutschen Provinz, bei denen bis zu 20 000 Tanzwütige saftiges Grün in Steppe verwandelten, gründete sich um den “Goa-Trance” eine Subkultur, die nahtlos an Ideale und Kultur der früheren Hippies anknüpfte: lange Haare, fernöstliche Spiritualität, Drogenexperimente, freie Liebe, Harmonie. Gerade der eigenverantwortliche Drogengebrauch erwies sich jedoch für viele Junghippies als schwer zu nehmende Hürde. Rasch standen tellergroße Pupillen nicht mehr nur für abenteuerliche Erweiterungen des Bewusstseins, ebenso konnten sie auch dessen konsequente Minimierung bedeuten. Dem Goa-Trance erging es da nicht anders als anderen Jugendkulturen der Neunziger: Ganze Teile der Szene brachen weg ins grenzdebile Drogennirwana. Das ist, könnte man meinen, der Lauf der Dinge, und es wäre auch schwerlich ein Thema, hätten sich vor einigen Jahren nicht ein paar Kunststudenten daran gemacht, diesem Absturz eine ästhetische Qualität abzugewinnen, deren Erfolg die Grenzen des Geheimtipps längst eingerissen hat.
“Mama, ich hab dir ein Kastanienmännchen gebaut”
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